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Länderchefs wehren härtere Lockdown-Beschlüsse des Bundes ab

Ohne Feiern und Freunde in die Adventszeit?

Montag, 16. November 2020, 21:30 Uhr
Nach zähen Verhandlungen musste Bundeskanzlerin Angela Merkel heute in der Schalte mit den Ministerpräsidenten der Länder ihre geforderten Zusatzmaßnahmen zum aktuellen Lockdown aufgeben. Vor allem um Verschärfungen in Schulen und Ideen zu Krankschreibungen gab es Zoff im Kanzleramt …

Die Maske wird uns Begleiter noch lange erhalten bleiben (Foto: oas) Die Maske wird uns Begleiter noch lange erhalten bleiben (Foto: oas)


Wieder berieten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder über die aktuelle Situation in der Corona-Krise, die von weiter sehr hohen Fallzahlen an Infektionen geprägt ist. Hauptziel der Bundesregierung bleibt es, eine Überlastung der medizinischen Einrichtungen zu vermeiden, wobei es einerseits um eine ausreichende Anzahl bereitstehender Betten auf den Intensivstationen geht, aber andererseits auch um genügend gesundes Personal, das die Intensivmedizin verabreichen kann.

Weil der größte Teil aller möglichen Virus-Verbreitungsquellen mit der Schließung öffentlicher Einrichtungen, der Gastronomie und der kompletten Veranstaltungsbranche jedoch schon ausgetrocknet wurde, ohne dass ein erkennbarer Rückgang an Infektionen zu verzeichnen ist, richteten sich die neuen Ansätze nun auf die vermutlichen Superspreader im Kindes- und Jugendalter aus, deren Kontakte eingegrenzt werden sollen.

Jedes Kind, so die Forderung der Kanzlerin, soll nur noch maximal ein anderes in seiner Freizeit treffen dürfen. Auch für Deutschlands Schulen forderte sie d’accord mit dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder schon im Vorfeld des heutigen Treffens eine Maskenpflicht bis hinunter ins Grundschulalter. Klassen, in denen kein Mindestabstand gewährt werden kann, sollten personell getrennt werden.

Diese extremen Forderungen gingen den Länderchefs allerdings zu weit, weil sie mehrheitlich eine erhöhte Ansteckungsgefahr nicht in den gut vorbereiteten und mit Hygienekonzepten ausgestatteten Schulen sehen. Das soll wiederum zum Unmut der Kanzlerin geführt haben, wie BILD aus der Verhandlung zu berichten wusste. Nach über sechs Stunden gab es keinen nennenswerten Beschluss, lediglich Appelle an die Bevölkerung, sich an die Hygienemaßnahmen zu halten, wurden übermittelt. Ob sich die unterschiedlichen Auffassungen in der nächsten Woche dann angenähert haben, wird spannend zu beobachten werden.

Jetzt sollen die „Länder bis zur nächsten Konferenz in einer Woche einen Vorschlag vorlegen, wie Ansteckungsrisiken im Schulbereich weiter reduziert werden können“.

Die Beschlussvorlage der heutigen Konferenz, die bereits am Freitag an die Medien durchgesteckt worden war, sah folgende weitere Verschärfungen des momentane Lockdowns vor:
  • Feiern im privaten Kreis sollen bis Weihnachten unterbleiben.
  • Touristische Reisen sollten unterbleiben.
  • Nicht einmal Tagesausflüge sollten noch erlaubt werden.
  • Ein Hausstand dürfe sich nur noch mit maximal zwei Personen aus einem anderen Haushalt treffen.
  • Wer sich erkältet hat, soll sofort fünf bis sieben Tage zu Hause bleiben oder so lange, bis die Symptome abgeklungen sind. Eine Krankschreiben könne telefonisch erfolgen.

„Mit Entsetzen“ wurde dieser letzte Vorschlag von den Arbeitgebern und ihren Verbänden aufgenommen, die befürchten, dass viele Betriebe zum Erliegen kämen, wenn in der erkältungsträchtigen Winterzeit jeder zu Hause bleiben müsste, der einen Schnupfen hat. „Dieser Vorschlag wirkt hilflos“, resümierte der Chef des Instituts für deutsche Wirtschaft, Michael Hüther.

In den Landesregierungen war man vor allem verstimmt, weil das Kanzleramt schon einen Tag vor der Konferenzschaltung mit voller Absicht öffentlich lanciert hatte, wozu es die Ministerpräsidenten bringen wollte. Der Vorwurf lautete weiterhin, dass es Themen sind, über die der Bund gar nicht zu befinden hat. Deshalb blieb es nach stundenlangem Hickhack auch bei schmallippigen Appellen ohne eine einzige neue Entscheidung. Die früher verhängten Beschränkungen wurden nicht aufgehoben.

Ob die vor zwei Wochen getroffenen Maßnahmen als „Wellenbrecher“ tauglich sind, bleibt in den nächsten Tagen abzuwarten. Derzeit erleben wir, dass die Infektionszahlen auch in Ländern ansteigen, in denen die Kontaktverbote mit Ausgangssperren und genereller Maskenpflicht noch drastischer angewendet wurden als jetzt in Deutschland.

In einer reichlichen Woche, genau am 25. November, wollen sich die Regierenden wieder zusammensetzen, um die Entwicklungen auszuwerten und über weitere Maßnahmen zu beraten. Wenn es dann keine Verringerung auf einen Inzidenzwert von 50 gibt, droht die Kanzlerin, werden die heutigen Mahnungen an die Bevölkerung in Gesetze gegossen.

Dann sollen auch die von den Ländern vorbereiteten Vorschläge für den Schulbetrieb auf dem Tisch liegen und Entscheidungen getroffen werden. Weder Söder, noch Berlins Regierender Bürgermeister Müller glaubten allerdings in der Pressekonferenz daran, dass es ab Dezember in irgendeinem Bereich irgendwelche Lockerungen geben wird.

In Baden-Württemberg wurde heute per Gericht ein Beschluss gekippt, wonach die Bürger überall da, wo sie nicht 1,5 Meter Abstand halten können, eine Maske tragen müssen.

Gerichte könnten auch bald zum Einsatz kommen, wenn die große Koalition am Donnerstag im Bundestag eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes durchsetzt, in deren Folge einige elementare, freiheitliche Grundrechte ausgehebelt werden können, wenn es die Infektionslage erfordert. Dann geht es um den Fortbestand der Unverletzlichkeit der Wohnung, die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, eine mögliche Beschneidung der Parlamente und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Wenn der Gesetzentwurf von der Bundesregierung so gründlich vorbereitet wurde wie die heutige Schalte mit den Ministerpräsidenten dürften die Kläger allerdings leichtes Spiel haben.
Olaf Schulze
Autor: osch

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