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Angemerkt

Nordhäuser Touristiker erscheinen hilflos

Sonnabend, 16. November 2019, 08:11 Uhr
Tourismus ist in unserer Region nicht wirklich gewollt, so scheint mir. Die Halbherzigkeit, die auf der Vorstellung des x-ten Tourismus-Programmes der Berufstouristikexperten von mehreren Zeitgenossen wahrgenommen wurde, hat seine Ursachen in jahrzehntealten Unterlassungssünden. Meint Bodo Schwarzberg...

Meist vorbildlich markiert - Karstwanderweg im Alten Stolberg (Foto: Bodo Schwarzberg) Meist vorbildlich markiert - Karstwanderweg im Alten Stolberg (Foto: Bodo Schwarzberg) Die natürlichen Gegebenheiten, der Karstwanderweg und die Harzer Schmalspurbahnen sind Geschenke für unsere Region. Ihr Potenzial aber bleibt weitestgehend ungenutzt.

Vielleicht ist genau das aber auch eine Mentalitätsfrage? Vor einigen Jahren, als ich noch Interviews für meine beiden Nordhäuser Bände der Reihe "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" führte, sagte mir ein Unternehmer zum Tourismus ganz ehrlich: "Es kommt doch sowieso keiner. Warum sollen wir denn dann so einen Aufwand betreiben?" - Recht hatte er.

Doch zugleich fehlte der folgerichtig nächste Gedanke: Warum eigentlich kommt (fast) niemand? Mir scheint, als sei genau er jahrzehntelang von den Touristikern verdrängt worden. Bevor überhaupt das "nächste" Konzept mit Steuermitteln finanziert wird, müssten sich die amtlichen Sachwalter des Tourismus doch wenigstens einmal mit dieser Frage tiefergehend beschäftigen?:

Ich habe nach 1989 noch nie gelesen, dass vielleicht die jahrzehntelange Grenznähe zwischen DDR und BRD eine Entwicklung des Tourismus' bzw. eines unter Touristen vorteilhaften und generationsübergreifend weitergetragenen Rufes unserer Region behindert haben könnte. Bekanntlich waren Wanderer und andere in den Grenzkreis Nordhausen "einreisende " Personen zwischen 1950 und 1989 nicht wirklich gern gesehen. Ellrich, Sülzhayn und Rothesütte waren auf den sehr ungenauen DDR-Wanderkarten faktisch überklebt und wurden auch in den zugänglichen, SED-gelenkten Medien höchst selten erwähnt. Offiziell gab es einige touristisch interessante Orte im DDR-Harz gar nicht.

Touristen hatten es also schwer: Außer VEB-betriebenen und -kontrollierten FDGB-Heimen gab es mit Ausnahme zum Beispiel des legendären "Reisebüro-Touristhotels" Heinrich Heine in Schierke und einigen wenigen anderen Hotels kaum andere, privat zu buchende Unterkunftsmöglichkeiten. Nichts war für die Parteistrategen schlimmer, als ein individueller, schwer zu lenkender und zu kontrollierender Individualtourismus.

Eine touristische Tradition, für in das DDR-Sperrgebiet einreisende Eliten ausgenommen, konnte sich so kaum herausbilden. Andere Regionen, wie beispielsweise der Thüringer Wald, das Vogtland, das Elbsandstein- oder das Erzgebirge erlebten auch vor der Wende eine Art Massentourismus.

Im Südharz gab es daher nach meiner Beobachtung auch nie eine Art Volkswanderbewegung, wie in Sachsen. Wer heute an einem Sonnabendmorgen im Dresdener Hauptbahnhof in die S-Bahn Richtung Bad Schandau steigt, stößt auf Scharen wanderschuh- und kletterausrüstungstragender Outdoorfans aller Altersgruppen. Das war auch vor 1990 so. Schließlich sah die führende Partei dort wegen der fehlenden Nähe des Klassenfeindes auch keine "politische Notwendigkeit", Wanderwege unmarkiert zu lassen oder aber ganz totzuschweigen.

Aber all das ist 30 Jahre her! Unsere von unser aller Steuergeld bezahlten Tourismusfunktionäre waren in dieser langen Zeit nicht in der Lage, an der Misere etwas zu ändern. Ja, aber Tradition lässt sich auch nicht per Dekret erzeugen.

Doch abseits davon konnten sie auch nicht einmal hervorragende, und dazu noch tatsächlich umgesetzte, übrigens oft von Privatleuten erdachte Ideen, wie den länderübergreifenden Karstwanderweg, dauerhaft mit Leben erfüllen, oder diesen doch wenigstens begehbar halten:

Mal wird der zertifizierte "Qualitätsweg Wanderbares Deutschland" während der Urlaubszeit im Sommer nicht gemäht, mal wird einfach (siehe nnz) Stammholz auf ihm abgeladen, dann wieder, wie oft im Alten Stolberg, mutiert er zu einer einzigen Schlammwüste. Die Erneuerung der einzigartigen, mitunter baufällig werdenden, geologischen Infotafeln zieht sich über Jahre hin und manche scheinen gar nicht erneuert bzw. ersetzt zu werden. - Allein an der alljährlich 12 Monate lang nicht immer zu gewährenden, wandererfreundlichen Begehbarkeit des Karstwanderweges muss man eine gewisse Untätigkeit der Tourismusverantwortlichen im Landkreis Nordhausen oder aber ungünstig gelagerte Zuständigkeiten zumindest ins Kalkül ziehen dürfen.

Nach wie vor ist zudem die Ausschilderung der anderen Wanderwege nicht nur stellenweise desolat, wenngleich es hier in den vergangenen Jahren einige erfolgreiche Bemühungen gegeben hat. Diese aber reichen bei weitem nicht aus, wenn man sie mit dem Markierungszustand in anderen mitteldeutschen Wanderregionen vergleicht.

Weiterhin fehlt eine Infrastruktur entlang des Weges, zum Beispiel eine, die das im warsten Wortsinne unbeschwerte Etappenwandern mit organisiertem Gepäcktransport für Familien standartmäßig ermöglicht. Länderübergreifend wohlgemerkt. Auf dem viel stärker begangenem Harzer Hexenstieg ist das längst Normalität. Gibt man bei google "Wandern ohne Gepäck und "Karstwanderweg" ein", landet man entweder auf dem Hexenstieg oder aber im Landkreis Osterode, falls vom Eingebenden konkrete Angaben zu diesem Anliegen gesucht werden. - Das Leiden des Harzes ist seine menschgewollte Zerschneidung in drei Feudalstaaten, könnte man meinen.

Schon vor Jahren schlug ich daher vor, mehrere Querverbindungen zwischen Karstwanderweg und Hexenstieg wanderertauglich durchzumarkieren und beide Langstreckenwege gemeinsam und permanent kräftig zu bewerben, länderübergreifender Gepäcktransport selbstverständlich inklusive.

Aber was nützte all dies, wenn es an Pensionen und bezahlbaren Hotels mangelt? Diese aber werden sich nur etablieren, wenn die Politik nicht so tut, als gäbe es in Thüringen nur den Rennsteig als regionalen Weitwanderweg. Stadt und Landkreis Nordhausen positionieren sich hier meiner Meinung nach viel zu wenig, was wiederum zeigt, dass der sanfte Tourismus kaum mehr als das fünfte Rad am Wagen für Buchmann und Jendricke zu sein scheint.

Über den Gipsabbau und die Zerstörung unserer touristischen Grundlagen, auch übrigens unserer mitteleuropaweit einmaligen Thüringer Buchenwälder als Folge der Klimakatastrophe, lesen und hören wir bedeutend mehr.

Und dann ist da noch die Harzer Schmalspurbahn: Keine Geringere, als die heutige Ministerin Birgit Keller drohte der HSB einst mit dem Entzug von Fördergeldern, falls sie nicht mehr im Landkreis investiert. Mit Drohungen aber, wird man eine touristische Trendwende nicht erzeugen: Eher das Gegenteil: Und der HSB kann niemand verübeln, dort zu investieren, wo der Tourismus seit Jahrzehnten boomt: In Wernigerode zum Beispiel.
Bodo Schwarzberg
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Autor: red

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