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In Nordhausen wurde 1672 ein Canis lupus erschossen

Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?

Sonnabend, 06. Januar 2018, 09:12 Uhr
Die Furcht vor dem Wolf grassierte schon im Mittelalter in Nordhausen. Doch ein Isegrim in Thüringen und ganze Rudel in Sachsen-Anhalt stellen heute keine Bedrohung dar. Manfred Neuber blickt zurück...


„In der Nacht des 30. Dec. 1672 erschoß der Bürger Rohrmann mitten in der Stadt bei der Marktkunst einen Wolf, welcher ein geschlachtetes Schwein fortschleppen wollte, indem Rohrmann dem Wolfe, der auf ihn losging, die Flinte in den offenen Rachen stieß“, zitierte vor einigen Tagen das Internet-Portal NordhausenWiki aus einem altertümlichen Bericht.

Ernst Günther Förstemann und Friedrich Christoph Lesser hatten den Vorfall festgehalten in den „Historischen Nachrichten von der ehemals kaiserlichen und des heil. röm. Reiches freien Stadt Nordhausen, gedruckt daselbst im Jahre 1740“, umgearbeitet und fortgesetzt, Nordhausen, Eberhardt, 1860.

Bisher ist der Wolf noch nicht in den Südharz vorgedrungen. Über Norddeutschland breitete er sich jedoch bis Ostfriesland und Schleswig-Holstein aus. Die Population steigt rasant in 76 Wolfsterritorien in Deutschland, wie die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Naturschutz belegen. Demnach gibt es derzeit 60 Wolfsrudel, 13 Paare und drei sesshafte Einzeltiere, das sind 13 Rudel mehr und acht Paare weniger als im Vorjahr.

Regional aufgeschlüsselt sieht es so aus:
  • Thüringen ein Einzeltier,
  • Sachsen-Anhalt elf Rudel,
  • Sachsen 14 Rudel, vier Wolfspaare,
  • Niedersachsen zehn Rudel, vier Wolfspaare, zwei Einzeltiere,
  • Mecklenburg-Vorpommern drei Rudel,
  • Brandenburg 22 Rudel, drei Wolfspaare,
  • Bayern zwei Einzeltiere.
In Süddeutschland nachgewiesene „nicht-residente Wölfe“ sind aus der Alpen-Population zugewandert. Nach Einschätzung von Tierforschern bietet Deutschland Platz für 440 Rudel bei einer Reviergröße von 200 Quadratkilometern.

Der Wolf hat ein breites Nahrungsspektrum, heißt es in einer Pilotstudie des Bundesamtes für Naturschutz. Es reicht von Kleinsäugern bis zu großen Huftieren. In Mitteleuropa sind dies vor allem Reh, Rotwild und Wildschwein, bei den Nutztieren vor allem Schafe und Ziegen. Der Wolf nutzt die für ihn am leichtesten zugängliche Nahrung. Deshalb bevorzugt er weniger wehrhafte Beutetiere. Ist wildlebende Beute nur in geringer Dichte vorhanden, werden ungeschützte Nutztiere und Abfälle zur Hauptnahrung.

Im Freistaat Sachsen wurden 2016 insgesamt 23 Fälle von Übergriffen auf Nutztiere bzw. Gatterwild durch den Wolf gemeldet. Dabei wurden 125 Tiere getötet. In Niedersachsen gab es im abgelaufenen Jahr bisher 27 nachgewiesene Fälle von Wolfsangriffen auf Nutztiere. In 2016 wurden dort 135 Nutztiere gerissen. Der Wolfsriss wird erkannt an Bissverletzungen an Hals oder Kehle, an geöffnetem Bauchraum, wobei die inneren Organe meistens unversehrt bleiben, großem Fleischverzehr in einer Nacht sowie meist eine relativ lange Schleifspur in Richtung Wald oder Deckung.

Bei einem Nutztierriss sollte sich der betroffene Tierhalter unverzüglich an das zuständige Landratsamt, die landwirtschaftliche Fachberatung oder an die Polizei wenden. Das zuständige Amt schickt in der Regel einen Gutachter, den den Kadaver untersucht. Für Nutztiere, die von einem Luchs oder Wolf gerissen werden, kann eine Ausgleichszahlung beantragt werden.

Voraussetzung dafür ist die amtliche Feststellung der Todesursache und die Dokumentation durch einen Gutachter oder Veterinär. In unklaren Fällen, bei denen der Wolf nicht ausgeschlossen werden kann, wird z. B. in Sachsen ebenfalls ein Schadensausgleich gezahlt.

Zum Schutz vor Nutztierrissen kommen Zäune, Hirten, Hüte- und Schutzhunde zum Einsatz. Elektrozäune mit einer Höhe von mindestens 90 cm Höhe bieten einen guten Schutz gegen Wölfe. Auch können mindestens 120 cm hohe Kop-peln aus Maschendraht oder Knotengeflecht mit festem Bodenabschluß (Spanndraht) gezogen werden. Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz sind 2015 in Bundesländern mit Wolfsvorkommen zusammen 107 783 € an Ausgleichszahlungen für Schadensfälle, bei denen ein Wolf als Verursacher nachgewiesen wurde, geleistet worden.#

Der Wolf galt seit mehr als 150 Jahren in Deutschland als ausgerottet. Um 1850 wurden die letzten gesichtet. In der Oberlausitz, auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz, kamen dann im Jahre 2000 die ersten Welpen in freie Wildbahn. Bereits zehn Jahre zuvor waren sie unter gesetzlichen Schutz gestellt worden. Der Canis lupus ist sehr anpassungsfähig und kann in unterschiedlichen Gegenden heimisch werden. Die Rudel bestehen zumeist aus fünf bis zwölf Tieren, können aber auch bis 36 anwachsen.

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) startete eine Kampagne unter dem Motto „Willkommen Wolf“. Mehr als 300 ehrenamtliche Helfer setzen sich für die Verbreitung des Wolfes ein. Es werden so genannte „Wolfsbotschafter“ berufen und Spenden sowie Patenschaften für Wölfe eingeworben. Der Deutsche Jagdverband hält diese Bestrebungen für naiv und spricht von „Bauernhof-Idylle“. Nicht nur „Problem-Wölfe“ sollten für den Abschuss freigegeben werden.

Landwirtschaftsminister Schmidt bat bei der EU in Brüssel um eine Lockerung des Schutzstatus. Doch Agrarkommissar Phil Hogan hält den Wolf weiter für eine gefährdete Tierart. Bestätigte Angriffe des Wolfes auf Menschen sind sehr selten. In solchen Fällen könnte Tollwut eine Ursache sein. Etliche Vornamen von Adolf bis Wolfgang gehen auf den Bruder des domestizierten Hundes zurück. In der Mythologie spielt der Wolf eine große Rolle. Und wen hätte in der Kindheit das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf nicht erschreckt!

Heute weiß man, dass Mensch und Wolf miteinander leben können, weil Isegrimm doch kein bestialisches Raubtier ist. Schließlich säugte eine Wölfin die legendären Gründer Roms, Romus und Remulus.
Manfred Neuber
Autor: red

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